Hechingen

Land sucht händeringend nach Flüchtlingsunterkünften, Pauli fordert mehr Personal für Meßstetten

24.06.2015

von Michael Würz

Zahlreiche Bürger kamen am Mittwochabend in die Hechinger Stadthalle, um sich über die Situation der Flüchtlinge, die nun auch für einige Wochen im ehemaligen Hechinger Krankenhaus unterkommen sollen, zu informieren.

„Wir sind davon ausgegangen, dass wir niemals mehr als 1000 Plätze in Meßstetten brauchen“, sagte Ministerialdirektor Professor Dr. Wolf-Dietrich Hammann vom Integrationsministerium Baden-Württemberg zu Beginn der Bürgerversammlung. Er habe Landrat Günther-Martin Pauli im Landtag angesprochen, händeringend auf der Suche nach einer Unterkunft. Pauli habe dann das Krankenhaus als bedarfsorientierte Unterkunft vorgeschlagen. Um zukünftig alle Flüchtlinge unterzubringen, werde man in Baden-Württemberg sechs bis neun Landeserstaufnahmestellen brauchen. Bis dahin müsse man sich mit bedarfsorientierten Unterkünften aushelfen, sagt Hammann. 

Da gegenwärtig zahlreiche Flüchtlinge übers Mittelmeer kommen, würde mehr Platz zur Unterbringung nötig. Vor dieser Herausforderung stünden alle Bundesländer, so Hammann. Bürgermeisterin Dorothea Bachmann sagte, man habe sie vor einigen Tagen aus einer Sitzung gerufen, so dringend sei die Situation.

Land sucht händeringend nach Flüchtlingsunterkünften, Pauli fordert mehr Personal für Meßstetten

Nathalie Hahn, Kreissozialleiterin beim Roten Kreuz, bittet um Mithilfe. Vor allem für die Essensausgabe brauche man noch Ehrenamtliche. Foto: Michael Würz

„Es war eine ganz kurze Geschichte“, sagte Landrat Pauli. „Vor einer Woche haben wir in Stuttgart Alarm gegeben, weil es in Meßstetten inzwischen zu viele Flüchtlinge sind.“ Das Ministerium habe daraufhin erklärt, dass man hilflos sei und händeringend nach Unterkünften suche. „Ich bitte um Nachsicht, dass wir dann das Krankenhaus vorgeschlagen haben.“ Daraufhin sei im Landratsamt der Ausnahmezustand ausgebrochen, so Pauli.

Alle Behörden, bis hin zum Forstamt, hätten in den vergangenen Tagen mitgeholfen. Pauli betonte, dass es sich nicht „nur“ um Flüchtlinge und Asylbewerber, sondern vor allem um Menschen handele. Zugleich sagte Pauli, dass man Flüchtlinge gut betreuen müsste, um Probleme zu vermeiden. Er übte in diesem Zusammenhang heftige Kritik am Integrationsministerium, forderte mehr Personal für die LEA Meßstetten, um die Flüchtlinge konstruktiv zu begleiten. 

„Die Ehrenamtlichen alleine können nicht alle Probleme lösen, dann entstehen Konflikte.“ Pauli sei zuversichtlich, weil es in Hechingen etwa durch den Arbeitskreis Asyl fachkundiges Personal gebe. „Ich bitte Sie, uns in dieser Zeit zu unterstützen“, sagte er. Grundsätzlich sei die Atmosphäre in Meßstetten deutlich besser als in anderen Landeserstaufnahmestellen. Dies sei vor allem den Ehrenamtlichen zu verdanken, so Pauli.

Frank Maier, Leiter der LEA Meßstetten, sagte, dass die Situation in Meßstetten prekär sei. Man habe bereits auf Feldbetten ausweichen und mit Schlafsäcken arbeiten müssen. „Wir sind daher sehr froh, dass wir mit Hechingen eine Ausweichemöglichkeit gefunden haben.“ Die Liegenschaft eigne sich außerordentlich gut für die Unterbringung von Flüchtlingen. Laut Maier sollen vor allem Christen und Jesiden nach Hechingen kommen. Grund: Da Muslime derzeit Ramadan halten, sei die Essensausgabe in der LEA Meßstetten derzeit zeitlich verschoben. Dies sei in Hechingen nicht möglich. 

Eine Sprecherin des Arbeitskreises Asyl sagt, dass man sich bereits Gedanken zur Begleitung der Flüchtlinge gemacht habe. Vor allem wolle man mit den Flüchtlingen Deutsch lernen, aber auch Stadtführungen seien geplant. „Ich habe mir heute schon ein Bild gemacht und bin mit ihnen zum Fußballplatz gegangen, es ist völlig unkompliziert, die Leute dort sind total nett.“

„Ich habe heute die ersten Flüchtlinge begrüßt und gesagt, dass wir sie willkommen heißen“, sagt Bürgermeisterin Dorothea Bachmann. „Aber ich habe ihnen auch gleich gesagt, dass sie sich in der Stadt so verhalten, wie wir es erwarten.“ Es sei ein nettes Kennenlernen gewesen, sagte Bachmann. Und weiter: „Es ist eine Notsituation, ich weiß, dass schon Kritik kam, aber ich kann nicht nein sagen, wenn es um humanitäre Hilfe geht.“ Auch sie sei nicht glücklich darüber, dass das Krankenhaus geschlossen wurde. 

Dass die Unterkunft länger als einige Wochen bestehen bleibt, glaubt Bachmann nicht. „Die kleinen Unterkünfte sind schon vom Aufwand her zu teuer.“ Das bestätigt auch Ministerialdirektor Hammann. Eine längerfristige Unterkunft ergebe erst ab 500 Flüchtlingen Sinn. Es gehe lediglich um einen Puffer für Asylsuchende, die aus der LEA Meßstetten kommen und auf andere Landkreise verteilt werden. Asylsuchende aus sicheren Drittstaaten, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, sollen künftig gar nicht mehr auf die Landkreise verteilt werden. „Das ist unfair gegenüber denen, die unsere Hilfe wirklich brauchen.“

Eine Ärztin, Mieterin im ehemaligen Krankenhaus, sagt am Mikrofon: „Wir stehen der Sache aufgeschlossen gegenüber, das Gebäude ist gut dafür geeignet und es ist unsere humanitäre Aufgabe, zu helfen.“

Landrat Pauli schildert seine Erfahrungen aus dem Begegnungszentrum in Meßstetten: „Egal, woher die Menschen kommen, es sind immer sehr bewegende Geschichten“, sagt er. „Ich habe im Begegnungszentrum in Meßstetten viele Gespräche geführt, die Menschen haben Dinge erlebt, die niemand von uns erleben möchte, ich habe da sehr wertvolle Begegnungen gemacht.“

Ein Bürger fordert Ministerialdirektor Professor Dr. Wolf-Dietrich Hammann vom Integrationsministerium Baden-Württemberg auf, Druck auf Brüssel auszuüben, damit die Flüchtlingsarbeit in Europa gerechter verteilt wird. Hammann gibt dem Mann Recht: „Es sind vier Länder, die die meiste Arbeit schultern, das ist nicht in Ordnung und muss geändert werden.“

Hammann, bis 2013 Landespolizeipräsident in Baden-Württemberg, sagt einem Bürger, der sich um die Sicherheit sorgt: „Wir wissen, dass da junge Männer kommen und da nicht nur Engel dabei sind.“ Man könne jedoch eindeutig sagen, dass es kein ernstzunehmendes Sicherheitsproblem gibt. „Das bestätigen Polizeibeamte an allen Orten, an denen es Flüchtlinge gibt.“

Bürgermeisterin Dorothea Bachmann bittet die Bürger am Ende der Veranstaltung abermals in einem flammenden Appell um Verständnis für die sofortige Entscheidung, das ehemalige Krankenhaus für die Flüchtlinge bereitzustellen. Sie mache seit Tagen kein Auge zu, so belastend sei die Situation, sagt sie. Die Bürgermeisterin bittet die Hechinger, aktiv auf die Flüchtlinge zuzugehen und den Kontakt mit ihnen zu suchen.

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