Balingen

Wahrheit, die kalte Geliebte: Dr. Mark Benecke zieht die Balinger in seinen Bann

19.03.2019

von Rosalinde Conzelmann

Dr. Mark Benecke, auch bekannt als „Kommissar Schmeißfliege“, zog am Montagabend 800 Zuhörer in der Balinger Stadthalle in seinen Bann.

Schwaben und Schaben hört sich ähnlich an. Vielleicht fühlte sich Dr. Mark Benecke am Montagabend deshalb in Balingen so wohl.

Wahrheit, die kalte Geliebte: Dr. Mark Benecke zieht die Balinger in seinen Bann

© Rosalinde Conzelmann

Der große Beifall seiner Fans hat den Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke total überrascht. Euphorisch sprach er vom „Wunder von Balingen“ und nahm immer wieder die Tugenden der Schwaben aufs Korn.

Der derzeit wohl bekannteste Kriminalbiologe weltweit redet nahezu drei Stunden ohne Punkt und Komma lang über das Thema Kriminalfälle am Rande des Möglichen.

Er hat seine Fauchschaben, Maden- und Fortbildungsstempel dabei, grinst hundert Mal in die Handys seiner Fans, die geduldig für ein Selfie anstehen, während Gothicbässe durch die Halle wummern, und bedankt sich euphorisch für den tollen Empfang.

Benecke führt Zuschauer mit bebildertem Spaziergang durch ihre Stadt

So was passiere ihm nur in Schwaben, versichert er und spricht gar vom „Wunder von Balingen“.

Bevor er ins eigentliche Thema einsteigt, nimmt der Wissenschaftler mit den vielen Tätowierungen seine Zuhörer mit auf einen bebilderten Spaziergang durch die Stadt. Der Faktencheck, der auch den ZOLLERN-ALB-KURIER nicht auslässt, erheitert die Zuhörer, die Balingen mit den Augen eines Kriminalers sehen.

Wahrheit, die kalte Geliebte: Dr. Mark Benecke zieht die Balinger in seinen Bann

© Rosalinde Conzelmann

Für Selfies mit den Fans nimmt sich der Kriminalbiologe viel Zeit.

Die vielen gelben Säcke, die umgedrehten Poster an den Eingangsportalen, die Liebesschlösser an der Schellenbergbrücke und das ungeputzte Hinweisschild zur Polizei – dem kritischen Auge des Beobachters entgeht nichts.

Bei der Analyse der Tageszeitung fällt dem schrägen Vogel, der in seinem Alltag in die Abgründe der menschlichen Seele hinabsteigt, die heile Welt auf.

Show verlangt von Zuschauern höchste Konzentration

Dann wird es ernst. Mark zeigt das erste Foto eines Hilfesuchenden, der sich verzweifelt an ihn gewandt hat: Der Mann wacht jeden Morgen mit Blutflecken auf der Brust auf und hat eine Ärzte-Odyssee hinter sich. Dr. Benecke löst das Rätsel: Es ist ein Fall von Blutschwitzen.

Und er offenbart gleich seine erste Regel: Wahrheit ist nicht Gerechtigkeit, dafür ist Wahrheit messbar. „Kommissar Schmeißfliege“, wie ihn seine Fans wegen seiner biomedizinischen Fähigkeiten in Sachen Madenbefall bei Leichen und Insektologie nennen, läuft dann zur Hochform auf und verlangt höchste Konzentration von seinen Zuhörern.

Deshalb nimmt es der Buchautor, der ankündigt, dass er demnächst seine Biografie schreiben wird, auch denjenigen nicht übel, die nach der Pause heimgehen. Zuviel Sex and Crime – Zartbesaiteten kann das schon an die Nieren gehen.

Was Sex und Verbrechen miteinander zu tun haben können

Die Harten aber – und das sind 90 Prozent am Montagabend – freuen sich auf Teil zwei nach der Pause. Zum Einstieg gibt es eine Abhandlung über den „Busenmord“ mit detaillierten Nachstellungen, eine „Einführung“ ins Trampling und äußerst interessante Einsichten, dass Sex und Verbrechen gar nicht so weit auseinanderliegen.

„Machen Sie die Augen zu“, fordert Benecke seine Zuhörer auf und zeigt ein Foto von einer Erhängung an, die sich am Ende seiner Untersuchung als autoerotischer Unfall herausstellte.

Wahrheit, die kalte Geliebte: Dr. Mark Benecke zieht die Balinger in seinen Bann

© Rosalinde Conzelmann

Geduldig schreibt „Kommissar Schmeißfliege“ Autogramme.

Selbstmorde spielen im Alltag des 48-Jährigen, der bei ungelösten Verbrechen weltweit zu Rate gezogen wird, immer wieder eine Rolle.

Er berichtet, dass sich in Deutschland jährlich über 600 Menschen, die jünger als 26 Jahre sind, umbringen und ein Großteil seiner Fälle Selbsttötungen sind. Da spreche nur keiner drüber.

„Jeder kann Forensiker werden“, sagt er und beantwortet die Fragen, die ihm seine Fans in der Pause ins Fragebuch geschrieben haben. Beispielsweise diese: Wie kann man Pilze auf einer Leiche züchten? Benecke meint, das wäre möglich, rät aber zur Kompostierung. Vom Verbrennen hält er wenig: „Denken Sie nur an den Schadstoffausstoß.“

Schwere Fälle haben meist einfache Lösungen

Der Wissenschaftler erzählt, dass er noch nie einen einfachen Fall gehabt hat, am Ende aber stets einfache Lösungen. Er antwortet auf eine Frage, dass ihn sein Job fasziniert, aber nicht reich macht: „Ich habe kein Auto und keine Wohnung, wir pennen im Labor und arbeiten 365 Tage im Jahr.“

Er ist besessen von seiner Arbeit, fachlich top, auch wenn er durchgeknallt wirkt, und verlässt sich nur auf prüfbare Ergebnisse. Denn: „Die Wahrheit ist eine kalte Geliebte“. Ein Satz zum Schaudern. Dafür lieben ihn seine Fans.

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