Bisingen

Er behielt am 2. Mai die Nerven: Bisinger Feuerwehrchef im Interview

21.06.2024

Von Michael Würz

Er behielt am 2. Mai die Nerven: Bisinger Feuerwehrchef im Interview

© Michael Würz

Marc Mayer ist seit 2022 Kommandant der Bisinger Gesamtwehr. Auch hauptberuflich ist der 46-Jährige in der „Blaulichtfamilie“ aktiv, als DRK-Notfallsanitäter.

Bisingens Feuerwehrkommandant Marc Mayer spricht im großen ZAK-Interview über die Flut, den Zusammenhalt in der Kirchspielgemeinde – und die Angst vor neuen Unwettern.

Der 2. Mai war der Tag, an dem in Bisingen die Welt untergegangen ist: Wassermassen fluteten die Kirchspielgemeinde. Die Folge war ein Hochwasser, wie es Fachleuten zufolge bislang nur alle 1000 bis 5000 Jahre vorgekommen ist. Bürgermeister Roman Waizenegger sagte später, er sei heilfroh, dass Menschen nicht ernsthaft zu Schaden kamen. Dabei war allerdings nicht nur Glück im Spiel, sondern allen voran auch Bisingens Feuerwehrkommandant Marc Mayer – der im größten Chaos die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Auch 6 Wochen später steht Mayer noch unter den Eindrücken der Flut. Der 46-Jährige sagt: „Das war ein prägendes Ereignis.“ Mit dem ZAK sprach er jetzt über den bislang schwersten Unwettereinsatz seiner Feuerwehrlaufbahn, die Solidarität der Bisinger Bürger und Lehren, die sich aus dem Hochwasser für die Zukunft ziehen lassen.

Herr Mayer, zucken Sie zusammen, wenn heute eine Unwetterwarnung auf Ihrem Handy aufploppt?

Sicherlich.

Was hat sich verändert?

Die Warnungen häufen sich. Und man ist nie davor gefeit, dass es noch einmal so schlimm kommen könnte. Jede Gewitterzelle, die sich bildet, ist mittlerweile ein Überraschungspaket. Der Deutsche Wetterdienst kann allerdings inzwischen gut prognostizieren, wo ein Gewitter langzieht. Wir stehen dann auch in Kontakt mit der Leitstelle und verfolgen die Zugrichtung eines Unwetters akribisch. Aber auch der DWD kann nicht alles. Es braucht auch nach wie vor noch den gesunden Menschenverstand, den Blick in den Himmel.

So wie am 2. Mai. Wie haben Sie den Tag erlebt?

Ich hatte dienstfrei und war daheim. Es hatte bereits eine erste Unwetterwarnung gegeben, und ich habe zu Hause – interessehalber – eine Wetterstation. Als die plötzlich mehr als 30 Liter Niederschlag pro Quadratmeter angezeigt hat, bin ich sofort los in Richtung Feuerwehrhaus. Ich habe mich dann mit meinem Stellvertreter kurzgeschlossen und wir haben schnell die Führungsgruppe alarmiert.

Im Nachhinein betrachtet: alles richtig gemacht. Sie waren gewissermaßen vor der Lage.

Dennoch war uns das Wetter gleich wieder einen Schritt voraus, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die man nicht mehr einholen konnte.

Wann ist Ihnen klar geworden, wie gefährlich die Situation war?

Ich war hier unten im Feuerwehrhaus. Es war schwierig, die Lage einzuschätzen. Für mich war klar, dass Keller unter Wasser stehen würden. Erste Einsätze gab es in Thanheim, es zog sich dann am Bachlauf entlang und wir haben sofort Personal nachalarmiert. Ganz schnell zugespitzt hat es sich, als plötzlich Wasser auch regelrecht auf das Feuerwehrhaus zugeströmt ist, und zwar aus drei Richtungen. Ich habe gesehen, dass wir gerade selbst ein Wasserproblem bekommen und mir immer überlegt, ob wir hier überhaupt weiter ausharren können. Zugleich gingen Notrufe ein, dass Menschen im Wasser eingeschlossen sind. Ich habe ad hoc alle Entscheidungen parallel treffen müssen. Das war für mich schon ein absolut prägendes Ereignis.

Was geht im Kopf des Kommandanten vor, wenn der Wasserspiegel vor dem eigenen Feuerwehrhaus steigt?

Meine Sorge galt unserer Elektronik im Keller des Gebäudes.

Was wäre, wenn sie ausfiele?

Wir haben da natürlich Redundanzen für solch einen Fall. Die Sektorzentrale ist Hechingen, die Kameraden dort hatten ihr Feuerwehrhaus bereits besetzt und hätten sofort die Einsatzleitung übernehmen können. Aber es ist natürlich schon blöd, wenn das Feuerwehrhaus im laufenden Betrieb ausfällt. Das Wasser hat gerade noch im richtigen Moment aufgehört zu steigen. Es war kurz davor, in die Elektronik zu laufen. Nur ein paar Zentimeter haben noch gefehlt.

Die Lage im Ort wurde dramatisch. Autos wurden weggespült, Menschen waren in Kellern eingeschlossen. Was haben Sie unternommen?

Wenn man gesehen hat, welche Wassermassen auf uns zukamen, musste man die Gefahr, die da geherrscht hat, schon als sehr hoch einschätzen. Wir haben entsprechend reagiert, haben ganz schnell Wasserretter, Taucher, THW und weitere Feuerwehren aus der Region angefordert. Da wurde mir aber auch bewusst, wie ernst die Lage ist: Als weitere Kräfte in Bisingen angekommen sind, meldeten sie per Funk, dass sie die Einsatzstellen erst gar nicht erreichen konnten, weil alles überflutet war. Da war mir klar, dass wir zu diesem Zeitpunkt regelrecht abgeschnitten waren.

Was ist in einem solchen Moment das Wichtigste?

Da gilt es natürlich, ruhig zu bleiben. Ich habe versucht, das immer auf einem Level zu halten, dass keine Unruhe reinkommt, sondern dass wir alles strategisch abarbeiten. Wir haben alles noch mal nachgeprüft, dass nicht noch irgendwo Personen eingeschlossen sind. In der Ortsmitte gab es eine kritische Situation, da war eine Person in einem Auto im Wasser. Eine Frau saß in einer Eisdiele fest, in Steinhofen war eine Person im Haus. Und in der Gutenbergstraße am Bach wollte ein Bewohner noch schnell das Kellerfenster schließen. Er hat es nicht mehr zurückgeschafft. Wir haben ihn dann rausgezogen. Man kann aus heutiger Sicht sagen: Wir waren wirklich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Aber Sie können in einer solchen Lage nicht überall gleichzeitig sein . . .

Unsere Priorität gilt ganz klar der Menschenrettung. Ich verstehe natürlich, dass jeder nach seinem Hab und Gut schaut. Aber die Menschenrettung ist für uns das A und O. Erst danach können wir uns um vollgelaufene Keller kümmern. Das haben wir auch den Bürgern erklärt, die das meistens verstanden haben.

Wie lange haben sich die akuten Einsätze am 2. Mai hingezogen?

Oh. Das ist alles wie ein Film an mir vorbeigezogen (schaut im Protokoll nach). Los ging es so gegen 16.30 Uhr. Und im Einsatz waren wir bis am späten Nachmittag des Folgetags.

Erfahren Sie Dankbarkeit?

Ja. Bürger kamen sogar hier runter ans Feuerwehrhaus und haben uns geholfen, unsere Fahrzeuge zu putzen und uns bei den Aufräumarbeiten unterstützt. Es sind auch Dankesbriefe bei der Gemeinde eingegangen. Das freut uns natürlich.

Es gab auch eine große Solidarität unter den Bürgern, und auch die Spendenbereitschaft war hoch . . .

Das ist das Positive, das ich jetzt an der ganzen Geschichte herausziehen kann. Man sagt ja, alles sei nur noch schlecht, jeder schaue nur noch nach sich selbst. Ich muss sagen: Das war unfassbar, was wir an Unterstützung bekommen haben, und auch wie sich die Leute untereinander unterstützt haben. Es gab wirklich einen richtig großen Zusammenhalt. Ich finde, das muss man wirklich betonen.

Fachleute sagen: Schwere Unwetter werden aufgrund des Klimawandels weiter zunehmen. Was bedeutet das für die Feuerwehr?

In Bisingen ist es aufgrund der Topographie sehr schwierig für uns, Maßnahmen zu treffen, wenn ein Unwetter zu erwarten ist. Beispiel Balingen: Da kann man entlang der Eyach Vorbereitungen treffen und etwas aufbauen. In Bisingen können wir eigentlich nur die Pegel beobachten, aber nicht wirklich Maßnahmen ergreifen. Denn Bisingen liegt ja in einem Kessel. Wir haben gar nicht die Möglichkeit, das Wasser irgendwohin zu leiten. Das ist bei dieser Topographie wirklich brutal schwierig.

Können Bürger selbst beim Thema Hochwasserschutz aktiv werden?

Da zitiere ich den stellvertretenden Kreisbrandmeister Florian Rebholz. Ich sehe es wie er: Wir müssen wieder an mehr Eigenverantwortlichkeit appellieren. Die Gemeinde unternimmt bereits viel, aber auch als Bürger müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen. Aus den Bächen hat es viel Holz angeschwemmt, damit hatte die Feuerwehr zu kämpfen. Wir müssen wieder lernen: Anhänger mit Holz sollten nicht direkt am Bach geparkt werden. Solche Dinge. Gemeinde und Feuerwehr tun viel, da finden sich auch immer noch Stellschrauben, die man verbessern kann. Aber alles geht nicht. Und dann muss man auch ehrlicherweise sagen: Wenn es so kommt wie am 2. Mai, wird man es nicht aufhalten können. Da kann man so viel Material beschaffen, wie man will. Hilfreich ist natürlich dann, wenn die Feuerwehr personell gut aufgestellt ist.

Haben Sie in Bisingen ein Personalproblem?

Nein. Wir sind personell gut aufgestellt. Aber mehr Personal ist natürlich immer noch besser. Um es ganz einfach auszudrücken: Je mehr Personal die Feuerwehr hat, desto mehr können wir ableisten. Übrigens gewinnen wir zunehmend aktive Mitglieder, die über Social Media auf die Feuerwehr aufmerksam werden. Wenn wir Neuzugänge haben, fragen wir immer: Wie seid ihr zu uns gekommen? Da wird dann häufig Instagram genannt. Das ist in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich geworden.

Hechingens Bürgermeister Philipp Hahn hat vor einigen Tagen erst gesagt: „Die Einsätze der Feuerwehr werden immer gefährlicher.“ Wie gefährlich war der Hochwassereinsatz am 2. Mai in Bisingen für die Helfer?

Da muss man natürlich schon sagen: Für das Personal, das an den Brennpunkten im Einsatz war, also am Marktplatz oder in Steinhofen, war das hochgefährlich. Für derlei Wassermassen sind wir realistischerweise ja nicht geschult. So etwas kennt man nur aus dem Fernsehen. Dennoch haben wir natürlich insgesamt hervorragend ausgebildetes Personal, das keine Heldentaten vollbringen will, sondern gegebenenfalls auf fachkundige Unterstützung wie die Wasserretter wartet.

Nur weil gerade Hochwasser herrscht, bleiben medizinische Notfälle nicht aus, Herzinfarkte etwa, Schlaganfälle oder Knochenbrüche. Was passiert, wenn der halbe Ort überflutet ist, aber jemand dringend Hilfe braucht?

Das stimmt. Der ganz normale Alltag läuft ja einfach weiter. Und tatsächlich gab es auch medizinische Notfälle während des Hochwassers in Bisingen. Aber die Rettungsdienste haben sehr gut kooperiert. In einem Falle wurde ein Notarzt von der Wasserrettung an seinen Einsatzort gebracht. Auch die UTVs (Utility Task Vehicles, Anm. d. Red.), die der Kreis beschafft hat, haben sich in unserer Lage übrigens mehr als bezahlt gemacht. Sie wurden ja von einigen anfangs etwas belächelt. Aber wir müssen sagen: Sie haben sich hier wirklich bewährt.

Wie verhalte ich mich bei Hochwasser richtig?

Keinesfalls mehr Keller aufsuchen und nicht mit dem Auto ins Wasser fahren. Damit bringt man sich und auch die Retter in große Gefahr. Das Wasser kommt rasend, man bekommt keine Tür mehr auf, schlimmstenfalls ertrinkt man jämmerlich. Im Haus muss man auch auf das Thema Strom aufpassen. Und generell gilt: Den Anweisungen der Einsatzkräfte unbedingt Folge leisten.

Appell für Leitstelle im Zollernalbkreis

Marc Mayer sagt: Das Hochwasser in Bisingen habe gezeigt, wie wichtig die Ortskenntnis der Disponenten sei: „Sie kennen sich aus, wenn man die Lage bespricht. Die Leitstelle muss im Kreis bleiben.“ (Mehr zum Thema hier.) Auch die zur Debatte stehende Zusammenlegung einzelner Bisinger Feuerwehrabteilungen hält er für keine gute Idee. Gerade der Einsatz am 2. Mai habe deutlich gezeigt: „Sie müssen eigenständig bleiben.“

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